Brauchtum durch das menschliche Leben

Vielerlei Bräuche begleiten den Menschen auf seinem Lebensweg.
Es gibt Bräuche, die sollen erfreuen oder ärgern, andere machen Verborgenes offenkundig,
aus manchen spricht Weisheit in feiner oder auch derber Art.

Geburt

Vielerorts kennt man Brunnen, Quellen, Teiche, Bäume oder Höhlen, aus denen die kleinen Kinder kommen.
In Sandebeck schlummern die kleinen Mädchen unter einem dicken Stein am Kärspul. Der Kärspul ist eine Ummauerte Thermalquelle. Die Hebamme muß sie mit einer Zuckerbrezel oder einem rotwangigen Apfel an der Schnur unter dem Stein hervorlocken. Die kleinen Jungen zieht sie unter dem Hohenstein auf dem Hackelberg hervor. Kinder, die sich ein Brüderchen oder Schwesterchen wünschen, bringen der Hebamme einfach einen dicken Apfel, das hilft meistens.

Kindtaufe

Zur Kindtaufe wurden früher die Kinder von den Filialen nach Sandebeck zur Pfarrkirche gebracht. Dabei war es üblich, daß Paten und Hebamme das freudige Ereignis in Sandebeck reichlich begossen. Zweimal geschah es, daß die Kindtaufgesellschaft ohne Kind nach Hause zurückkehrte. Einmal blieb eins in der Gastwirtschaft auf der Bank liegen, ein anderes Mal mußte man ein vergessenes Kind von dem Platze im Wald nachholen, an dem eine Feldrömer Gesellschaft die ” Pulle für die Mutter ” geleert hatte. 1892 wurden dem Schuhmacher Kleine in Oeynhausen drei Mädchen geboren. Schon vor der Taufe war die die Stimmung so ausgelassen, daß ein Kind, das Maria heißen sollte, den Namen Josef bekam. Erst 1928 wurde aus dem irrtümlichen Jungen im Tauf- und Standesamtsregister ein Mädchen.

Liebschaft

Früher war der Pfingstbusch die erste Andeutung für ein Mädchen, daß es geliebt wurde. Zum Pfingstmorgen stellte der stille Verehrer einen grünen Birkenbusch vor die Haustür seiner Auserwählten. Ungeliebte Mädchen, oder solche, die immer nur Körbe austeilten, fanden am Pfingstmorgen einen trockenen Braken vor dem Hause.

Alltag und Arbeit

Früher mischte der Bauer geweihte Asche aus dem Osterfeuer unter das Saatgut, um Gottes Segen zu erlangen. Vor der Aussaat betete er vor dem Weizensack. Am Ostertag steckte er seine Felder mit geweihten “Palmzweigen” ab und besprengte das Land mit Weihwasser. Wenn eine Kuh gekalbt hatte, bekam sie ins erste Futter einige Stengel vom Krautbund. Manche Bräuche gehen auch auf eine gute Naturbeobachtung zurück. So wird gesagt, daß die Frühkartoffeln  am Aschermittwoch warmgestellt werden sollen ( Erhöhung de Keimkraft ). Was unter der Erde wächst, soll man bei abnehmendem Mond und was über der Erde geerntet wird, bei zunehmendem Mond pflanzen. Auch hier finden wir heidnische Bräuche. So hängt man früher, wenn ein Pferd gefohlt hatte, die Nachgeburt hinter das Haus. Dadurch sollte die Stute leichter wieder tragend werden. Mancher Bauer lässt heimlich noch einen Apfel am Baum und eine Garbe auf dem Feld für Wotan und seine Begleitung. Über der Deelentür hängt im Herbst der Erntehahn mit dem mit Eiern geschmückten Erntekranz.

Hochzeit

Reiches Brauchtum rankt sich um Hochzeit und Eheschließung. Der Abend vor der Trauung ist der Polterabend. Kinder und junge Burschen werfen glückbringende Scherben vor das Hochzeitshaus, dafür bekommen die Kinder ein Stück Kuchen, die Großen bekommen ein Schnäpschen und für das Wegschaffen eine Flasche. Am Hochzeitsmorgen wird nach dem Verlassen der Kirche von Kindern durch Vorhalten von Stricken ” geschattet “, um einige Münzen oder Klümpchen ( Bonbons ) von der Straße auflesen zu können, womit sich das Brautpaar loskaufen mußte. Das Hochzeitshaus ist für die rückkehrenden Neuvermählten geschlossen. Der Bräutigam pocht an die Tür. Von innen wird nachdem Namen gefragt. Jetzt nennt die Braut zum ersten Mal ihren neuen Namen. Nun wird geöffnet und ein Schnaps herausgereicht. Braut und Bräutigamm trinken, und die Braut wirft das leere Gläschen über die Schulter auf die Schwelle. Zerspringt das Glas, so bedeutet das Glück für die Ehe. Bleibt es ganz, so wird der Mann ein Säufer. Dann schneidet die Braut ein gut ausgebackenes Brot an. Das Brot bekommen bedürftige Menschen, den Knust verwahrt sie im Brautschap. Er darf niemals schimmeln, denn das bedeutet Unglück. Am Hochzeitsmorgen muß die alte Liebe derben Spott über sich ergehen lassen. Es führt ein Patt aus Schäwe ( Flachsabfall / Häcksel ) zum oder zur alten Liebsten. Der Braut wird Kranz und Schleier abgenommen und ersetzt durch die Nachthaube. Der Bräutigam kommt unter den Pantoffel. Gegen Ende der Feier fordert die Köchin ihren Lohn. Sie geht mit verbundenem Arm herum, hält den Schloif ( Kochlöffel ) hin und sagt: “Der Koch hat sich den Arm verbrannt und bittet um eine milde Gabe!” 

Dreschen und Schlachten

Beim Dreschen und Schlachten lässt man der Freude und dem Übermut Platz. Neulinge werden zum Besten gehalten. Beim Dreschen müssen sie Kaveträmper holen, und zwar von möglichst weit her. Beim Schlachten fehlt meistens die Sülzepresse, der Wurstträmper, das Blutsieb oder der Darmhaspel, alles Dinge, die es überhaupt nicht gibt und die sich als schwergewichtiges Gerümpel entpuppen, wenn sie ausgepackt werden.

Der Tod

Ist jemand gestorben, so ertönt vom Kirchturm die Totenglocke. Das Waschen und Einkleiden der Leiche besorgte früher die Totenkleiderin. Solange die Leiche im Sterbehaus aufbewahrt ist, finden sich abends Verwandte, Bekannte und, mit besonderer Verpflichtung, die Nachbarn im Trauerhaus ein zur Totenwache. Das ist ein gemeinsames Beten für den Verstorbenen. Bei der Beerdigung eines Schützenbruders wurde eine brennende Handlaterne hinter dem Sarg getragen. Vor dem Sarg gingen zwei Schützen mit brennenden Kerzen. Schützenbrüder und deren Frauen wurden von Schützen zu Grabe getragen. Bach der Beerdigung machen die Angehörigen einen Opfergang in der Kirche. Auch die Sargträger legen eine Gabe dazu. Für die Träger liegt der Lohn vor der Beerdigung auf dem Sarg. Ist der Tote ein Jüngling oder eine Jungfrau, so ist das Geld in ein weißes Taschentuch eingewickelt, denn der Sarg wird nicht auf einer Bahre, sondern an Handgriffen getragen. Das Taschentuch behalten die Träger. Bis 1930 trugen Kinder vor dem Sarg eines Kindes ” Kraun und Kerze “. Das war eine Krone aus buntem Flitterwerk, die auf einer Stange stockte. Die bunte Krone wurde aus den Grabhügel gelegt.

Das tägliche Brot

essen die Menschen mit besonderer Ehrfurcht. Als noch im eigenen Backofen gebacken wurde, machte die Hausfrau ein Kreuzzeichen in den Sauerteig. Auch heute noch bezeichnet manche fromme Mutter das Brot, das sie anschneidet mit einem Kreuz. Wie nahe dem Bauern sein Vieh steht, das sagt dieser Ausspruch:  “Woiwersterben is koin Verdiärwen, awer Guileverecken dat gift Schrecken”. 
Ein wichtiges Ereignis war der Bau eines Hauses. Ein Neubau ging viele Menschen an, denn ein neues Haus entstand durch nachbarliche Hilfe und Arbeitsleistung. Nachbarn halfen bei der Beschaffung von Baumaterial, bei den Bauarbeiten und bei der Unterbringung und Beköstigung der Bauleute. In Sandebeck kennt man noch das gemeinsame Aufstellen des Dachstuhles und das  Hillebilleklopfen. Nach dem Aufziehen des Richtebaumes oder Richtekranzes schlägt ein Geselle mit dem Hammer an den Balken, daß  es weithin schallt, dann spricht er einen Richtespruch. Darauf folgt das fröhliche Richtefest. Es ist ein gutes Ohmen, wenn es einmal tüchtig in das ungedeckte Haus hineinregnet. Wenn sich bei den Bauarbeiten ein Ungebetener Zuschauer einstellt, dann eilt der jüngste Lehrling herbei und putzt dem Neugierigen mit den Worten die Schuhe: ” Dir zur Ehre, mir zum Nutzen, will ich dir die Schuhe putzen! ” Der Zuschauer muß nun ein Trinkgeld oder eine Flasche Schluck herausrücken. Einen ähnlichen Brauch gibt es auch beim Flachsziehen.

Ein altes deutsches Sprichwort sagt:

Wer mit einer Hand an der Vergangenheit festhält, hat nur eine Hand für die Zukunft frei